Schöpfungsgeschichte

Die Schöpfungsgeschichte der Santals, nacherzählt von Gokul Hansda und Rathin Kisku mit Bildern von Sanyasi Lohar

Alle Religionen und Gesellschaften haben ihre eigenen Vorstellungen vom Anfang der Welt. In der Bibel heißt es, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen habe. Auch der Hinduismus kennt einen Schöpfergott, Brahma. Die Santals besitzen ihre eigene Geschichte über die Schöpfung der Welt.

Im Christentum und im Hinduismus gibt es heilige Schriften, die diese uralten Geschichten enthalten. Wir Santals besitzen keine heiligen Schriften. Stattdessen gibt es eine Jahrhunderte alte mündliche Tradition. Von einer Generation zur anderen erzählen wir unseren Kindern die Geschichten unseres Stammes mit der Hilfe von Tänzen und Liedern. Auch wir kennen einen Schöpfergott, er heißt Marang-Buru. Er ist unser höchster Gott. Wir machen keine Bilder und Statuen von ihm, wir verehren ihn nicht einmal in unseren Riten. Doch wissen wir, dass er existiert und dass er unser Leben schützt.

Wir erzählen euch nun die Schöpfungsgeschichte der Santals mit der Hilfe von einigen Bildern. Wir erzählen eine Bildergeschichte. Das ist nämlich die Tradition unserer Sänger und Geschichtenerzähler in Indien.

 

Bevor Marang-Buru die Welt erschuf, gab es überall nur Wasser. Damals gab es weder Männer noch Frauen, keine Vögel und keine Bäume. Darauf entschloss sich Marang-Buru, die Welt zu erschaffen. Als erstes erschuf er Krokodile, Krabben und Schildkröten, die im Wasser lebten. Danach wollte Marang-Buru Mann und Frau erschaffen.

 

 

Vom Grund des Meeres nahm er Lehm und machte daraus zwei menschliche Formen. Als Marang-Buru ihnen Leben geben wollte, schickte der Sonnengott ein großes, goldenes Pferd zur Erde. Das Pferd zerschlug die menschlichen Formen in viele Stücke. Der Sonnengott wollte nicht, dass Mann und Frau zusammen auf der Erde leben.

 

 

Wieder dachte Marang-Buru daran, Mann und Frau zu erschaffen. Er sagte: „Bevor ich Mann und Frau erschaffe, möchte ich zuerst Vögel mit großen Flügeln und eine starke, feste Erde machen. Ich will Bäume und Büsche schaffen, in denen die Vögel ihre Nester bauen können.“

 

 

 

 

 

Daraufhin befahl Marang-Buru den Krokodilen und Fischen, auf den Grund des Meeres zu tauchen und Lehm herauf zu tragen, um daraus eine starke, feste Erde zu bauen. Leider hatten die Krokodile das Land nicht fest genug gebaut. Denn als eine große Welle vom Meer aufstieg, begrub sie das ganze Land unter sich.

Daraufhin bat Marang-Buru die Erdenwürmer, tief nach unten zum Grund des Meeres zu tauchen, um Erde an die Oberfläche zu bringen. Marang-Buru befahl zahllosen Schildkröten auf dem Wasser zu schwimmen. Die Erdenwürmer mussten die Erde auf den Rücken der Schildkröten aufhäufen. In dieser Weise bauten sie allmählich ein starkes und festes Land.

 

 

Dann ließ Marang-Buru viele große Bäume und liebliche Sträucher wachsen. Vom Staub seines eigenen Körpers knetete er zwei Vögel und gab ihnen Leben. Sie waren eine Gans und ein Gänserich.

 

Marang-Buru gebot den Vögeln, ein Nest in einem Baum zu machen. Nach einigen Tagen legte die Gans zwei riesengroße Eier. Nach einiger Zeit brachen die Eier auf und aus ihnen stiegen ein schönes Mädchen und ein schöner Junge. Der Junge und das Mädchen wuchsen auf. Ihr Name war Pilchu-Haram und Pilchu Burhi. Sie trugen noch keine Kleider.



 

Eines Tages gab Marang-Buru ihnen einen wunderbaren, kräftigen Trank. Der Junge und das Mädchen berauschten sich daran und begannen, sich zu lieben. Ihrer Vereinigung entstammen zahlreiche Kinder, und auf diese Weise entfaltete sich der gesamte Stamm der Santals.