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Mechtild Jahn: 2. Bericht

Von: Mechtild Jahn
10.03.2015 News

 

Liebe Familie, liebe Freunde, liebe Nachbarn,

zunächst einmal vielen Dank an alle, die mir einen Gruß nach Indien geschickt haben und zum Teil auch auf meine Mail eingegangen sind mit freundlich - kritischen Anmerkungen!

Das Leben hat sich allmählich in seinem Gleichmaß eingependelt.
Dieses Gleichmaß ist ein anderes als bei uns, was ich Euch gerne an einem verblüffenden Beispiel erläutern möchte:
Die Jahreszeiten wechseln, und damit verändern sich die Stunden der Tageshelligkeit. Wir reagieren darauf in Europa so, dass wir die Uhr von Winterzeit auf  Sommerzeit umstellen.
Hier richtet sich der Beginn der Schule nach dem Sonnenaufgang: Es wird früher hell, also stehen die Menschen früher auf, also sind  die Kinder auch früher in der Schule - und dann fängt die Schule eben früher an (das macht in den 2 Wochen meines Hierseins schon 1/2 Stunde aus.)

In diesem Bericht möchte ich Euch etwas über die Kinder  erzählen:

Nachmittags kommen meist Kinder aus dem Dorf, um auf meiner 2 x 6 m großen Terrasse zu spielen. Sie kommen und gehen, Jungen und Mädchen, von 1/2  bis 12 Jahren ist die ganze Palette der Kindheit vertreten. Manchmal gesellt sich auch eine Mutter hinzu, um nach zweistündiger Abwesenheit nach ihrem 1/2-jährigen Baby zu sehen. Zeitweise waren 12 Kinder auf der kleinen Terrasse versammelt.
Ich habe ein paar Spiele mitgebracht - vorrangig für Kinder bis 6/7 Jahren.
Vorab die unglaubliche Nachricht: sie spielen 2 Stunden lang, vorwiegend nach einer Einführung in eigener Regie, ohne dass ich ein einziges Mal einen Streit erlebt habe!

Wie machen sie das: in Eigenregie spielen, wenn verschiedene Altersgruppen zusammen sind?
Ich gebe ihnen ein einfaches Rechenspiel (Additionen im ZR 10 müssen der richtigen Anzahl von Bananen zugeordnet werden - eindeutig für 1./2.-Klässler!).
Das 3/4 Jahre alte Baby sitzt dabei mit irgendwelchen Gegenständen in Händen oder Mund - friedliches Intervenieren, wenn es ungeeignete Dinge sind, kein Protest des Babys.
Der 3-Jährtige schaut zu.
Der 4-Jährige reicht dem 6-jährigen Mädchen hingebungsvoll die Rechenaufgaben.
Das Mädchen sucht die richtigen Bananenkärtchen heraus und kontrolliert sie voller Stolz.
Und so läuft es, bis das ganze Spiel zu Ende ist!

Ein weiteres Beispiel aus der Kategorie "Gewinnen - Verlieren":
Es ist das sog. Schneckenspiel (die Spielfiguren bewegen sich in einer Spirale zum Ziel. Es gibt vereinzelt Pfeile, die entweder wieder um eine Rundung zurück oder um eine Runde vor versetzen).
Sie freuen sich maßvoll, wenn sie als erste im Ziel sind. Das Spiel ist dann aber noch lange nicht zu Ende! Sie spielen nach den Regeln weiter, bis alle im Ziel sind. Auch der letzte rückt nach den Regeln vor oder zurück - und alle schauen bis zum Schluss zu! Und: kein einziges Mal habe ich Maulen oder Wutanfälle erlebt, wenn ein Pfeil zurück führte, auch wenn es kurz vor dem Ziel war oder mehrere Male hintereinander passierte!

Und zum Schluss eine Frage an alle - vielleicht habt Ihr Vermutungen für die Lösung dieser Frage!
Situation:
ich bin ihn der ersten Klasse. Es gibt sehr fitte Kinder, auch ein paar, die offensichtlich etwas längere Zeit für alles brauchen.
Zur Auflockerung, Motivation, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsübung das in meiner Schulpraxis sehr beliebte "Wegräumspiel":
"Die nächsten Stöckchen darf das Mädchen  mit der ... (z. B.) braunen Hose in das Säckchen werfen".
Sie verstehen die Aufforderung nicht - und ich bin überzeugt, dass der Lehrer richtig übersetzt hat!

Was liegt da vor?

Nach langer, nachdenklicher Diskussion mit Magdalena, einer deutschen Freiwilligen, hat es evtl. mit dem weiten Feld von "Sein und Haben" (Erich Fromm) zu tun!

Mit der komplizierten Frage, ob ich mich hier im Paradies befinde, werde ich mich vielleicht ein anderes Mal beschäftigen.

Herzliche Grüße von Eurer

Mechtild