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Mit unseren indischen Freunden durch Hamburg und an die Küste (während ihrer Deutschland-Reise im Sommer 2018)

Von: Hannah Beckmann
17.11.2018 News

Padma steht neben mir in der U-Bahn und schaut mit großen Augen von einem Menschen zum Nächsten.
Ich lächele sie an: „Erinnerst du dich noch, was ich euch damals erzählt habe?“
Sie nickt. Dann nähert sich ihr Gesicht meinem Ohr: „Aber warum?“
Ein Lachen entwischt meinen Lippen. Das Geräusch klingt überlaut in der Stille des Wagons.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, Padma.“
Und tatsächlich ist die fast unnatürliche Stille in deutschen Nahverkehrszügen nur eine der kulturellen Kuriositäten, mit denen Padma, Anil, Boro und Bhabini, die vier indischen Freunde, die uns in Hamburg besuchten, konfrontiert wurden.

An der Haltestelle Jungfernstieg steigen wir aus und laufen die Steintreppe zur Binnenalster hinauf. Einige Böen treiben uns feuchte Luft entgegen, die Wasserfontäne sprüht ihre Tropfen in unsere Richtung. Bhabini zückt ihr Smartphone, fotografiert das Wasser, die Fontäne, eine Möwe und Jakobs Hinterkopf, um anschließend freudig zu verkünden:
„Gruppenfoto!“

                

Zusammen mit Martin Kämpchen, der uns bis in die Hamburger Innenstadt begleitet hat, positionieren wir uns und lächeln gegen den Wind. Anschließend verabschieden wir Martin und schlendern durch die Innenstadt.
Schon nach wenigen Metern fällt Anil der nächste Unterschied zwischen den beiden Kulturen ins Auge: „So viele Autos, so viele Häuser, aber nirgendwo Menschen!“, murmelt er und schaut erstaunt um sich. Mein Blick folgt seinem und ich muss ihm zustimmen: An diesem rauen Donnerstagvormittag sind die Straßen fast gespenstisch leer. Als hätten alle Hamburger eine Information erhalten, die an uns, die wir schon einige Stunden keine Fernseh-, Radio- oder Push-Up-Nachrichten erhalten haben, vorbeigegangen ist. Und tatsächlich, als wir nach der Besichtigung des Rathauses wieder auf die Straße treten, werden wir von einem Sturm empfangen, der die normalen Ausmaße des „Hamburger Schietwetters“ um Längen übertrifft. Während sich Anils Schirm mit knackenden Geräuschen im Wind verrenkt, dokumentiert Bhabini das Spektakel mit aufgeregten Rufen auf Video. Wir ziehen die Köpfe ein und rennen gemeinsam hinüber zum Mahnmal-St. Nikolai, in dessen Innerem wir das Ende des Sturms abwarten, um anschießend im Regen weiter Richtung Miniaturwunderland zu laufen. Das Miniaturwunderland ist eine, mehrere Kontinente fassende, Modelleisenbahn, die seit vielen Jahren Menschen aus der ganzen Welt nach Hamburg zieht.
Wir laufen durch die österreichischen Alpen nach Venedig und folgen den Kanälen, bis wir den Grand Canyon erreichen. Unsere indischen Freunde betrachten begeistert jedes noch so kleine Detail dieser fremden Miniaturwelt. Anil mag sich kaum noch von den startenden und landenden Flugzeugen trennen, Padmas Speicherkarte ist schon bei Erreichen des zweiten Kontinents voll und Boro steht mehrere Minuten mit dem Handy in der Hand vor dem Mittelmeer und wartet darauf, dass die Delfine noch einmal auftauchen. Das Video von den Tieren möchte er seinen beiden Töchtern in Indien zeigen. Nach etwa 3 Stunden sind wir wieder an der Garderobe angelangt und fragen die Vier nach ihrem Eindruck.
Boro hebt die flache Hand an die Schläfe und strahlt: „Mind blowing!“, sagt er.

Als wir uns wieder auf die Hamburger Straßen trauen, hat der Regen nachgelassen und wir laufen hinüber zur Elbphilharmonie, von deren Terrasse aus man einen guten Überblick über den Hafen hat.

Den Abschluss des Tages bildet ein Besuch der Wasserlichtspiele in Hamburgs botanischem Garten Planten un Blomen. Hier treffen wir auch Judiths und meine Eltern, was für Bhabini, Padma, Boro und Anil ein besonderes Erlebnis ist, da sie schon oft gefragt haben, wann unsere Eltern denn mal in die Dörfer kommen.

Anil erzählt mir später, die größte Überraschung des Tages sei nicht etwa die prunkvolle Elbphilharmonie oder das DJ-BoBo-Konzert im Wunderland, sondern das Geschenk unserer Eltern gewesen. Sie brachten jedem der Vier einen „magic cup“ mit, wie Anil die Becher taufte. Was so magisch an diesen einfachen, schwarzen Bechern war, beschreibt er mir in einer Nachricht:
„At first your parents asked Boro-Da which kind of tea he would take and he took green tea. Then we have seen one picture on the cup. Bhabini and Padma took black tea and again we have seen another picture on the cup, so I thought, it is happening from the tea. Therefore, I took red tea, but I have seen the same picture as on Bhabini’s and Padma’s cup. After that we realized the pictures were showing, because of the boiled water. Real surprise!”

Der nächste Tag beginnt wieder in einem Zug. Wir sind auf dem Weg nach Pelzerhaken, einem kleinen Ort an der Ostsee. Dort angekommen erkunden wir erst einmal unser gemütliches Haus in einem der klassischen Feriendörfer, die Deutschlands Küsten schmücken.

                  

Kurz nach unserer Ankunft machen wir uns auf den Weg zum Meer. Für Bhabini, Padma und Anil ist es der erste Anblick des unendlichen Blaus, das sich am Horizont mit dem Grau des Himmels vereint. Sie fangen sofort an, mit blanken Füßen den Sand zu erkunden, den Wellen entgegen- und wieder davonzulaufen und mit den Zehen die Temperatur des Wassers zu testen. Bhabini und Padma bücken sich immer wieder nach den vielen kleinen Muscheln, die den Strand säumen, Anil posiert mit lässigem Blick vor dem Wasser, während Judith ihn fotografiert und ich tue, was ich immer tue, wenn ich an der Ostsee bin. Ich sammele möglichst flache, möglichst runde Kieselsteine, hole aus und werfe sie, in der Hoffnung sie würden von der Wasseroberfläche abprallen, aufs Meer hinaus. Doch es kommt, wie es immer kommt: Statt übers Meer zu hüpfen, versinken alle Steine nacheinander sang- und klanglos in den Wellen. Ich höre ein Lachen. Es ist Anil.
„Hey, hey“, sage ich. „Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Man muss den Steinen einen bestimmten Drall verpassen, damit sie auf dem Wasser hüpfen können. Das braucht Übung!“
Anil nickt, bückt sich nach einem Stein und wirft ihn locker aus dem Handgelenk. Der Kiesel hüpft einmal, zweimal, fünfmal auf der Wasseroberfläche, bis er in der Ferne im Meer versinkt.
Ich starre Anil an. „Aber... du warst noch nie am Meer!“
Er grinst und zuckt mit den Schultern. „Wir haben einen Dorfteich zu Hause.“

Nach einigen Runden Volleyball, im Rahmen derer unser Ball einige Male nur knapp aus den Wellen gerettet werden konnte, versammeln wir uns zum Kochen in unserem Ferienhaus. Sobald wir die Zutaten auf dem großen Holztisch im Wohnzimmer ausgebreitet haben, verfällt Bhabini in eine Art leidenschaftliche Routine und delegiert uns anderen die einfachen Aufgaben, während sie selbst die Töpfe überwacht. Auf unser Angebot, auch beim Kochen zu helfen, lacht sie nur und winkt fröhlich ab. Also schneiden Anil, Boro, Jakob, Judith, Laura und ich fleißig Knoblauch, Kartoffeln, Tomaten, Knoblauch und Knoblauch, während Bhabini mit Padma an ihrer Seite ein wunderbares, original-indisches Essen zaubert. Als wir die ersten Bissen kosten, schauen Judith und ich uns selbstzweifelnd an. Dies ist der bittere Moment, in dem wir uns eingestehen müssen, dass doch nicht die deutschen Zutaten schuld daran sind, dass uns die Nachahmung der indischen Küche in ihren feinen Nuancen bisher nie gelungen ist. Uns fehlten schlichtweg eine Bhabini und eine Padma, die intuitiv wissen, wie es geht.

                  

 

Impressionen zweier schöner Tage, geschrieben von Hannah Beckmann
Unser besonderer Dank gilt der Udo-Keller-Stiftung in Neversdorf, die uns sowohl den Tag in Hamburg, als auch den Ausflug ans Meer ermöglicht hat.