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Mechtild Jahn: 3. Bericht

Von: Mechtild Jahn
12.03.2015 News

Santal-Tanzgruppe mit Trommlern, die tanzenden Frauen singen dazu

Auf dem Holi-Fest in Santiniketan

In der Schule mt der ersten Klasse

 

Liebe Verwandte, Freunde und Nachbarn,

die Zeit fliegt.
Schien mir der Aufenthalt letzten Sonntag noch ausgedehnt vor mir zu liegen, so bin ich dieser Tage schon mit Abschiedsüberlegungen beschäftigt - zumal zwei wichtige Veranstaltungen geplant sind, die beide mit dem Ende meiner Zeit hier zu tun haben:
Ein Abschlussmeeting in der Schule und ein Abschiedsfest mit den Kindern mit Darbietungen.

In der Zwischenzeit habe ich drei große Volksfeste hier erlebt, alle ausschließlich für die einheimische Bevölkerung ausgerichtet, keines nach den Bedürfnissen von Touristen.
Zum einen war dies das Frühlingsfest der Santals hier im Dorf mit klarem Ablauf zeremonieller Regeln, Darbietung der schönsten Santal-Tänze und abendlicher Belustigung durch Laientheater und -gesang. Dann wurde bis 6:00 Uhr morgens durchgetanzt, die zwei Tage danach gehörten den Verwandtschaftsbesuchen und dem reichlichen Genuss von Reis-Bier. Auch ich konnte mich kaum auf der Straße fortbewegen, ohne in einen der Höfe geladen zu werden!
Am nächsten Tag durfte ich den zeremoniellen Höhepunkt eines Hindufestes im Nachbardorf erleben, das dann in der Folge drei Tage dauerte und uns drei Tage lang die Luft schwängerte mit rituellen Gesängen, traditioneller Musik und Unterhaltungsmusik indischer Prägung.
Und schließlich fuhren wir mit dem Fahrrad in die nächste Kleinstadt, die durch Rabindranath Tagore  bekannte Universitätsstadt Sanitiniketan. Dort wurde das hinduistische Holi-Fest gefeiert, von dem wir leider nur den karnevalistischen Teil und einen kaum vorstellbaren großen Rummel mitbekommen haben: es ist dort Brauch, dass man sich gegenseitig mit einem "Happy Hola" Farbpulver ins Gesicht streicht, bzw. schüttet. Meine blonden Haare und der seltene Anblick einer weißen Frau (sei sie auch noch so alt!!) machten mich zu einem willkommenen Opfer. Gegen Ende wusste ich, was Fatalismus ist!

Am Schluss möchte ich Euch noch etwas erzählen über meine Wahrnehmungen, was sich seit meinem letzten Aufenthalt im Jahr 2000 geändert hat:

Vor 15 Jahren gab es zwei Fahrräder im Dorf und ein Motorrad. Jetzt ist die Straße voll davon. Man sieht immer weniger Ochsengespanne, einfache Landmaschinen haben zugenommen. Dementsprechend sind die Straßen begeh- und befahrbar - vor 15 Jahren waren es eher tiefgefurchte Wege! Aber geteert ist hier noch keine Straße! Nur in etwa 5 Häusern gab es Elektrizität, heute gibt es in etwa 5 Häusern keine Elektrizität. Entsprechend ist abends auch noch nach Dunkelheit Leben im Dorf, dafür beginnt das morgendliche Leben etwas später. Die Reisfelder sind für eine zweite Ernte gerichtet, sie zeigen sich in sattem Grün, da die Elektrizität Pumpen zum Heraufholen des Grundwassers ermöglicht. Der Grundwasserspiegel fällt entsprechend und in regenarmer Zeit reichen die Dorfpumpen nicht mehr in die benötigte Tiefe!
Vor allem  aber haben sich die Geräusche geändert: Motorengeräusch und Musik aus Transistorradios erfüllen die Luft. Im Jahr 2000 gab es auch ständig Musik und Trommeln, weil in irgendeinem Dorf der Umgebung gefeiert wurde - aber das war von den Menschen produzierte traditionelle Musik! In den Häusern gibt es immer mehr Stühle, das war 2000 eine absolute Ausnahme und nur hohen Gästen vorbehalten! Auch sieht man immer mehr Handys - die Bau- und Feldarbeiter liegen und dösen nicht mehr einfach vor sich hin in der Mittagsglut, sondern hören Musik.
Der Gang zur Schule, einen Kilometer durch Felder vom Dorf entfernt, wird manchem Kind nicht mehr zugemutet: Die Eltern fahren es mit dem Fahrrad (auch zu dritt!) zur Schule. In etlichen  Häusern gibt es TV, da sitzen die gebrechlichen Großmütter oder die Kinder (auch 2-jährige) davor und sehen Bolywood-Filme. Ob es daran liegt, dass dieses Mal weniger Kinder zu meiner Terrasse kommen, mag ich nicht beurteilen! Die Kinder der ersten/zweiten Klasse sind merklich zappeliger als vor 15 Jahren - einen Kreis mit 15 bis 20 Kindern zu bilden und zu halten, vermögen sie nicht mehr ohne weiteres.
Aber immer noch:
Die Kinder sind motorisch äußerst geschickt, im Alltag sehr selbständig (schon 2-Jährige bewegen sich sicher in Dorf und Natur), sie sind sozial sehr verträglich und ohne Aufhebens fürsorglich mit den Jüngeren und vor allem: sie kommunizieren sehr sprachfreudig miteinander und streiten fast nie! Ihr Wortschatz scheint eindeutig größer zu sein als bei uns: auf Anhieb nannten die Erstklässler 12 verschiedene Baumarten und 14 verschiedene Vogelarten!
In Vielem sind sie wenig gefördert (was wir so "fördern" nennen: Regelspiele, Memorys, Farben, Formen etc.), aber wenn man es ihnen anbietet, lernen sie es erstaunlich schnell!

Um sicher zu gehen, dass wenigstens doch ein paar von Euch diesen langen Bericht zu Ende lesen, schließe ich jetzt - es gäbe noch viel mehr zu erzählen!
Das schwierige Kapitel: wo ist das Paradies, bringt Entwicklungsarbeit ausschließlich Segen? packe evtl. ein anderes Mal an!

Eure Mechtild